Harte Linie oder Laissez-Faire? Ein guter Vorgesetzter agiert nicht in derartig strengen Denk- und Handlungsmustern, sondern mit Maß und Mitte – und Selbsterkenntnis.
Jeder Angestellte hat einen Chef, umgekehrt ist es nicht zwingend der Fall. Doch auch wenn manche Gründer selbst jahrelang ihr einziges Personal sind, kommt oftmals der Punkt, an dem aufgestockt werden muss. Dann stellt sich die Frage, was für ein Chef man sein möchte und was es eigentlich bedeutet, als guter Vorgesetzter wahrgenommen zu werden. Maßgeschneiderte Universalantworten gibt es darauf nicht. Allerdings ein paar wichtige Leitlinien, die zur Orientierung dienen.
Leitlinien für einen guten Chef
1. Wissen, wo die eigenen Kompetenzen enden
Dieser Punkt der Führungsverantwortung greift bereits, noch bevor der erste Angestellte auch nur eine Minute gearbeitet hat und unmittelbar nach dem Vorstellungsgespräch. Würde ein guter Chef einfach eine beliebige Vorlage für den Arbeitsvertrag aus dem Internet herunterladen? Nein, definitiv nicht.
Das Arbeitsrecht ist ein umfassendes Feld mit ständigen Veränderungen. Ein guter Chef weiß, dass er hier ohne juristische Fachausbildung nicht mit der nötigen Sicherheit agieren kann. Er wendet sich deshalb an einen Profi für Arbeitsrecht – das gilt nicht nur, um sich eine rechtssichere Arbeitsvertragsvorlage erstellen zu lassen, sondern generell jedes arbeitsrechtliche Thema.
Doch endet diese Denkweise nicht beim Recht. Ein guter Chef weiß immer, wo seine Kompetenzen enden. Er muss nicht alles können. Er muss nur in der Lage sein, jemanden mit diesem Können heranzuziehen; egal ob bei IT, Marketing oder einem anderen Thema.
2. Andere Meinungen akzeptieren können
„Ich Chef, Du nix“ – bekannt von Mousepads, Kaffeetassen und T-Shirts – und nicht nur eine überholte, sondern brandgefährliche Geisteshaltung für das ganze Unternehmen. Wahr ist, dass ein Vorgesetzter den Kurs vorgeben muss. Er muss im Zweifelsfall seine Meinung durchsetzen, denn es ist seine Firma, sein Schiff, auf dem er als Kapitän am Ruder steht.
Dieser Punkt schließt dabei direkt an den vorherigen an. Ein schlechter Chef beharrt betonstarr auf seiner Meinung, seinen Ansichten, seiner gewünschten Vorgehensweise. Ein guter Chef hingegen ist in der Lage:
➔ Andere Meinungen zu Wort kommen zu lassen, selbst wenn sie als Kritik ausformuliert sind,
➔ sie nüchtern und neutral abzuwägen,
➔ durch sie seinen bisherigen Weg zu überdenken und
➔ die Meinungen gegebenenfalls in sein künftiges Handeln einfließen zu lassen.
Kein Chef ist perfekt, kann alles selbst überblicken. Das akzeptiert er nicht nur, sondern lässt Menschen, die etwas besser oder auch nur anders wissen, zu Wort kommen.
3. Niemals zögern, wenn es darauf ankommt
Ein Unternehmen zu führen wird häufig mit militärischer Führungsgewalt verglichen. Häufig ist das überzogen, an einem Punkt stimmt es jedoch: Entscheidungsfreude.
Sowohl angestellte Mitarbeiter wie einfache Soldaten wissen, dass da jemand anderes die Zügel in der Hand hält. Und sie vertrauen darauf, dass dieser dieses Privileg auch nutzt – im militärischen Bereich hängt an diesem Vertrauen sogar die eigene Gesundheit. So wichtig es für einen Chef ist, seine Entscheidungen abzuwägen, so wichtig ist es deshalb auch, in allen Situationen beherzt zu führen, die Verantwortung zu übernehmen, den Kurs anzusagen – und das rasch.
Passiert das nicht oder nur zu zögerlich, oder ändert ein Chef gar seine Meinung immer wieder, sorgt das für extreme Unsicherheit. Darunter wiederum leidet die Autorität eines Vorgesetzten beträchtlich – übrigens ganz gleich, wie streng er diese auch einfordert.
4. Sich vor sein Team stellen
Fehler passieren. Auch solche von enormer Tragweite und Außenwirkung. Einmal angenommen, ein Angestellter macht einen Fehler, der bei einem Kunden für schwere Verstimmung sorgt: Wäre es richtig, wenn der Chef diesem Kunden verspricht, dass sein Mitarbeiter dafür zur Rechenschaft gezogen wird? Nein, es wäre nicht bloß falsch, es wäre fatal.
Ein guter Vorgesetzter hat ein sehr breites Kreuz, selbst wenn er körperlich von schmaler Statur ist. Denn zur Führungsverantwortung gehört nicht nur das Privileg, Anordnungen erteilen zu dürfen. Sie bedeutet auch, dass man seine Untergebenen schützen muss.
Natürlich, nichts spricht dagegen, in dem beispielhaft genannten Fall den Mitarbeiter zurechtzuweisen. Aber das geschieht intern und nach klaren Regeln. Gegenüber dem Kunden würde ein guter Chef die alleinige Verantwortung übernehmen und das auch so kommunizieren: Es war nicht der Fehler des Angestellten, es war nicht unser Fehler, es war mein Fehler.
5. Niemals die Extreme ausloten
In früheren Jahrzehnten bedeutete Führung, fernab der Mitarbeiter angesiedelt zu sein. Der Chef im abgekapselten Büro, die Kommunikation nur über Dritte. Steile Hierarchie in Reinform.
Dann begann ein konträrer Prozess. Hierarchien wurden flacher. Bis zu einem Punkt, an dem der Chef vielfach inmitten der Angestellten saß, alle sich duzten, vielleicht sogar die Feierabende regelmäßig gemeinsam verbrachten. Die perfekte flache Hierarchie.
Ist eines besser als das andere? Nein, auch wenn manche das nach wie vor glauben. Autoritäre Erziehung tut keinem Kind Gutes, das gilt aber auch für Laissez-Faire. Beides lässt sich 1:1 auf die Arbeit übertragen. Denn so, wie steile Hierarchien einen Vorgesetzten von seinem Team entkoppeln, wodurch ihm die „Fühler“ für deren Zustand geraubt werden, verhält es sich umgekehrt in superflachen Hierarchien:
➥ Der Chef ist zu dicht dabei; mittendrin, um genau zu sein. Diese Nähe kann fatal sein. Denn für sorgsame Führungsentscheidungen braucht es oft einen gewissen Abstand – ein Gemälde erkennt man ja auch erst in Gänze, wenn man einige (aber nicht zu viele) Schritte zurücktritt.
➥ Die fehlende Distanz, besonders wenn sie mit zu viel Jovialität des Chefs gepaart wird, unterminiert oft dessen Autorität. Es fällt schwer, auch unangenehme Entscheidungen durchsetzen zu können, wenn man mit denen, um die es geht, den ganzen Tag und vielleicht auch danach freundschaftlich beisammensitzt.
➥ Zu oft enden wohlgemeinte flache Hierarchien in nichtvorhandenen Hierarchien. Dann übt der Chef die Rolle nur noch formal aus. Und wer trifft dann Entscheidungen, übernimmt Verantwortung?
Nein, das bedeutet nicht, in steile Muster zurückzukehren. Da wäre die Entfernung wie erwähnt zu groß. Ein guter Chef ist immer für seine Mitarbeiter direkt da – aber das kann er trotzdem von einem eigenen Büro aus sein, auch mit undurchsichtigen Wänden.
6. Loben können
Ein guter Chef spricht Kritik für einen Punkt auch nur ein einziges Mal aus. Ist die Sache bereinigt, kommt sie nie wieder aufs Tableau. Und umgekehrt? Wie lobt man einen Mitarbeiter, der ein besonders wichtiges Projekt durchgezogen hat: da sollte man nach der Methode „viel hilft viel“ verfahren – oder nicht?
Nein, lieber nicht. Lob wie Kritik sollten einmal erfolgen. Auch ersteres benötigt eine richtige Herangehensweise, den richtigen Zeitpunkt und Ort. Es darf durchaus vor dem Team gelobt werden, auch wenn nur ein Einzelner hervorsticht. Aber Dauerlob ist ebenso unangebracht wie Dauerkritik.
Bloß: Beides muss ein guter Chef verteilen. Denn das sind auch Gradmesser, anhand denen sich Mitarbeiter einschätzen können.